Am NHM wird – wie an anderen großen naturwissenschaftlichen Museen - wissenschaftlicher Modellbau betrieben. Ziel ist dabei
die möglichst naturgetreue Nachbildung dreidimensionaler Objekte, wobei auch maßstabsgerechte Vergrößerungen oder Verkleinerungen
angefertigt werden können. In einem Haus wie dem NHM, das größten Wert auf die Originalität seiner Exponate legt, kommt dem
Modellbau immer dann eine Schlüsselrolle zu, wenn aus didaktischen Gründen eine Vergrößerung benötigt wird, weil das Original
einfach zu klein ist, als dass die Betrachter*innen seine Komplexität oder die Funktion von Strukturen ohne weiteres erkennen
könnte. Oder aber wenn sich das Original trotz seiner Größe für eine Präparation einfach nicht eignet. Man denke etwa an Quallen
oder Weichtiere wie Schnecken, Muscheln oder Tintenfische. Ein weites Feld für die Modellbauer*innen!
Ausgangspunkt für die Arbeit des wissenschaftlichen Modellbaus sind Fotos, mikroskopische Aufnahmen, Präparate und direkte
Beobachtungen am lebenden Objekt. Für die Anfertigung von Modellen kommen heute in erster Linie Kunststoffe zum Einsatz, Modelliermassen
aller Art, PU-Schäume, Kunstharzlaminate, usw. Es gibt aber im Prinzip kaum Materialien, die ein kreativer Modellbauer nicht
einsetzen würde. Ob Glas, Holz oder Metalle: Was immer dem natürlichen Aussehen des Modells dienlich ist, wird auch verwendet.
Modellbauer*innen sehen alltägliche Dinge mit anderen Augen als Normalsterbliche und sind immer auf der Suche nach neuen Materialien,
um ihren Schöpfungen noch mehr Natürlichkeit geben zu können.



Modellbauer*innen verbinden ähnlich wie Präparator*innen biologische Fachkenntnisse mit sowohl künstlerischen als auch technischen
Fertigkeiten. Die Anfertigung eines Modells dauert oft Monate, am Ende steht in der Regel ein Unikat, das einen entsprechend
hohen Wert repräsentiert.
Oft ist der Weg zum eindrucksvollen Modell durch Fehlversuche und technische Sackgassen ein steiniger. Erfahrung ist bei dieser
Tätigkeit unbezahlbar! Von Pflanzen etwa kann man Abgüsse anfertigen und so Rohlinge für Modelle gewinnen. Aber: Die Laubblätter
der Zwerg-Schwertlilie lassen sich problemlos abgießen, die Blütenblätter jedoch nicht. Sie verbinden sich permanent mit dem
als Gussmittel verwendeten Silikon. Die hochkomplexen Blätter der Brennnessel mit ihren filigranen Brennharen können hingegen
problemlos entsprechend „kopiert“ werden.
Eine besondere Herausforderung im Modellbau stellt die Rekonstruktion ausgestorbener Arten dar. Von ihnen gibt es keine Bilder und eine Beobachtung ist allenfalls bei noch heute lebenden verwandten Arten möglich. Ein Beispiel für eine solche Art ist der Terrorvogel (Paraphysornis brasiliensis), eine rund zwei Meter große, flugunfähige und sich räuberisch ernährende Vogelart, die vor über 20 Millionen Jahren ausgestorben ist. Ausgangspunkt für die Anfertigung eines Modells dieser Art, die in enger Kooperation mit den Paläontologen des NHM erfolgte, war der Abguss eines fossilen Schädels, der zusammen mit einem weitgehend intakten Skelett in den 1980er Jahren in Brasilien gefunden worden war. Gemeinsam mit Fotos und Maßen des Skeletts diente der Abguss als Grundlage für die Anfertigung eines Metallskeletts, über das ein PU-Schaumkörper gegossen und zurecht geschnitzt wurde. Der so entstandene Körper wurde mit präparierten Vogelhäuten (Truthahn, Strauß aus Zuchten) überzogen und Details wie Federn einzeln eingesetzt. Die Glasaugen wurden handgemalt, sie orientieren sich an der Färbung, die bei den vermutlich nächsten Verwandten der Terrorvögel, den heute im zentralen und östlichen Südamerika lebenden Seriema, auftritt.